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Ein stiller Zeitgenosse

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Ruhe bedeutete mir viel, sogar sehr viel. Daher hatte ich nie darüber nachgedacht, das Gesetz zu brechen, das hätte zu viel Aufwand, zu viel Risiko und viel zu viel Trubel bedeutet.


Ich hatte auch nie auch nur darüber nachgedacht, irgendjemandem Schaden zuzufügen, doch vielleicht war gerade das mein Fehler gewesen. Vielleicht brauchte es dazu ja nicht einmal eine Idee. Vielleicht war es auch einfach Schicksal oder Kausalität gewesen.


Drei Monate zuvor hatte ich Carmen Allende kennen gelernt, diese unmögliche Person. Immer freundlich, immer herzlich, eine gute Mitarbeiterin… wenn sie einen Raum betrat, zog sich in meinem Magen etwas zusammen. Manchmal wenn sie mich zur Begrüßung umarmte, hatte ich das dringende Bedürfnis, sie abzuschütteln, wie einen nassen Hund, der versucht, einen anzuspringen. Zwar niedlich, aber viel zu aufdringlich.


Das allein wäre nicht weiter schlimm gewesen, doch dann hatte sie mir unbedingt hinterherlaufen müssen. Alles nur wegen so einer blöden Kopie. Also, sie lief mir hinterher und wedelte so aufdringlich mit diesem idiotischen Zettel herum.


Ich beschleunigte meine Schritte, doch sie folgte mir einfach weiter. Kein Wunder, dass… eigentlich war sie doch selber schuld.


Kurzum: Sie lief mir hinterher, obwohl doch jeder normale Mensch hätte erkennen müssen, dass ich – zumal es Feierabend war – besseres zu tun hatte, als mich mit einem Blatt Papier zu beschäftigen, das genauso gut bis zum nächsten Tag hätte warten können. Es war in der Ringstraße, als sie mich einholte und mich am Ärmel zupfte.


Ich drehte mich um. Warum musste sie auch! Sie schaute mir auf die für sie so typische Art in die Augen und hielt mir den Zettel unter die Nase.


Die Welt verschwamm vor meinen Augen, für einen Moment war die Ordnung aus den Fugen, dann sah ich wieder klar. Solange ich nichts dagegen täte, würde sie mich immer nerven. Irgendwas hatte sie in meinen Augen gesehen, doch sie blieb seltsamerweise ganz ruhig. Nur ihre Pupillen weiteten sich.


Erschrocken erklärte sie „Es tut mir leid, sie müssen etwas falsch verstanden haben. Ich bin schon vergeben“ Ich schüttelte nur den Kopf und packte zu. Es dauerte nicht lange.


Dann lag sie auf dem Boden. Endlich Ruhe, endlich war es still! Sie war einfach zu fröhlich gewesen, zu laut, zu aufdringlich und lebhaft.


Jetzt sah sie beinahe schön aus, ihre Haare hatten sich auf dem Boden verteilt, lagen dort unbewegt und das Gesicht wurde langsam bleich. Der Kragen verdeckte die Abdrücke der Hände an ihrem Hals und ihr Körper war endlich ruhig.


Ich atmete erleichtert auf und ging weiter, zur nächstgelegenen Polizeistation. Es war besser, mich sofort zu stellen. Hoffentlich machten sie dort nicht allzu viel Lärm, wenn ich ihnen meine Geschichte erzählte.


Doch als ich vor der Station stand, dachte ich an die Fragen, die man mir stellen würde: Wann, wie, womit und immer wieder warum. An den Abscheu in ihren Gesichtern und die verständnislosen Blicke. Vielleicht würde man mich sogar anschreien und würde es irgendwas ändern? Eigentlich war es sinnlos.


Es regnete, die Tropfen prasselten leise auf dem Pflaster, auf dem Asphalt und an den Fenstern, ich lächelte und ging weiter. Auf einer Brücke warf ich meine Handschuhe in den Fluss.

2011
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